Bericht über das 1. Treffen 2016 von ehemaligen politischen Häftlingen in Brandenburg/Havel am 28.-29. Mai 2016
INTERESSENGEMEINSCHAFT
EHEMALIGER POLITISCHER BRANDENBURGER HÄFTLINGE 1945-1989
Das Gefängnis in Brandenburg-Görden wurde 1945-1989 auch als Haftanstalt für politische Gefangene genutzt. Unter den bis zu 1.900 Gefangenen wurden unter aggressiven Kriminellen zB jährlich 546 als Staatsverbrecher inhaftiert, darunter 122 Flüchtlinge mit Passvergehen.
Die besondere Situation dort, mit ausschließlich Haftstrafen über 5 Jahren auch für „Straftaten gegen die staatliche Ordnung“, war bezeichnend durch eine Häufigkeit strenger Arreststrafen. Seit 1951 wurden in der sozialist. DDR auch politische Gefangene und Flüchtlinge als Kriminelle bezeichnet.Die Haftanstalt an der Havel mahnt uns heute als authentischer Ort von DDR-Repression.
Am Samstag den 28. Mai 2016 versammelten sich 45 Teilnehmer nach einem Aufruf der Interessengemeinschaft ehemaliger politischer Brandenburger Häftlinge 1945-1989 im Industriemuseum Brandenburg/H. (August-Sonntag-Straße 5). Dort im ehemaligen Stahlwerk, wo frühere Häftlinge und Teenager des Jugendwerkhofs Lehnin Haftzwangsarbeit leisten mussten, begannen Betroffene, Zeitzeugen und FachhistorikerInnen mit einem Rückblick auf die 60er Jahre mit Auszügen aus der aufrüttelnden Predigt von Martin Luther King 1964 und der Tanzmusik von Ted Herold vom Plattenteller.
Auf Initiative von Michael M. Schulz wurden symbolisch Gedenktafeln und Kränze für den ermordeten Brandenburg-Häftling Michael Gartenschläger aufgestellt. Nach mehreren Hungerstreiks und Freikauf wurde er beim mutigen Abbau von Selbstschussmechanismen 1976 32jährig von Grenzsoldaten und Geheimdienst erschossen. Auch im Industriemuseum sollte die Ausstellung mit Hinweisen auf die Haftzwangsarbeit ergänzt werden – als Teil der Ortsgeschichte.
Mehrere Fachvorträge folgten. Jurist Dr. Johannes Wasmuth sprach scharf heutige Defizite in den Rehabilitierungsgesetzen an. Prof. Dr. Erardo C. Rautenberg, Generalstaatsanwalt von Brandenburg, beschrieb nachvollziehbar die Strategie zur Verfolgung von DDR-Menschenrechtsverletzungen und Brutalitäten des Strafvollzugspersonals, Prof. Dr. Dr. Roland Garve als Arzt und ehemaliger politischer Häftling menschenverachtende Praktiken im Haftkrankenhaus, wo oft Totschläger als Krankenpfleger eingesetzt wurden. Der Historiker Dr. Christian Sachse beschrieb plastisch: Die Verweigerung von Menschenrechten macht krank, was Bernd Wittchow vom Diakonisches Werk Oderland-Spree mit Beispielen untermauerte. Der pol. Häftling und Bauingenieur Jürgen Sydow forderte die Einhaltung des Menschenrechts auf Gesundheit, was sich in der Diskussion mit Roland Jahn als schwieriges Vorhaben herausstellte. Der Historiker Rainer Potratz aus Potsdam moderierte mit Sachkunde durch den interessanten Dialog zwischen Zeitzeugen und Wissenschaftlern, bei dem die anwesenden Betroffenen atemlos mitdiskutierten. Am Ende blieben viele belegte Brötchen übrig.
Am späten Nachmittag lief der Film Die Todesautomatik (ZDF 2007). Mit
einer Abendandacht im Sonnenuntergang durch den Baptistenprediger und Bürgerrechtler Bernd Wittchow aus Buckow/Mark für den 1976 ermordeten mutigen Michael Gartenschläger wurde der tote Patriot als Vorbild für sein charakterstarkes und widerständiges Verhalten in Haft geehrt.
Am Sonntag dem 29. Mai 2016 legten dann 10 politische Häftlinge an der kleinen Gedenkmauer am Eingang der heutigen JVA Brandenburg/H. vier Kränze nieder.
Dieses Gedenken ist auf youtube dokumentiert:
Dem heutigen Gefängnispersonal wurde eine Gedenktafel aus Acryl überreicht zum Anbringen im Aufenthaltsraum, damit nie wieder systemisch gewalttätige Übergriffen auf Häftlinge geschehen.
Danach versammelten sich alle zur Mitgliederversammlung.
Die Interessengemeinschaft beschloss ein 2. Häftlingstreffen am gleichen Ort mit diesmal breiterer Einladung am letzten Maiwochenende 2017 zu veranstalten und bestätigte das bisherige Leitungsteam in seinen Aufgaben.