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ab Ende 2023 wird überarbeitet

  

Erinnerung an Geschichte des Cottbuser Gefängnisses
Von Simone Wendler (LR)

Die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und ehemalige politische Gefangene bemühten sich seit 2001 sehr um die Aufarbeitung der DDR-Geschichte des alten Cottbuser Gefängnisses. Bei einem Forum im RUNDSCHAU-Verlagshaus diskutierten Häftlinge 2002 über Möglichkeiten, die Erinnerung an diese DDR-Haftanstalt für politische Gefangene zu bewahren.

Das alte Cottbuser Gefängnis in der Bautzener Straße war bis 1989 neben Bautzen und Brandenburg/ Havel die wichtigste DDR-Haftanstalt für politische Gefangene. Wegen schlimmer Haftbedingungen und Misshandlungen durch Wärter war die Anstalt berüchtigt. Seit April steht der Bau leer, der Abriss droht und damit das Vergessen dessen, was sich hinter den Mauern abspielte. Ehemalige Häftlinge wollen die Erinnerung wachhalten.

Ein Nachmittag im Oktober 1978
Auf dem Cottbuser Gefängnishof übergießt sich ein 26-Jähriger mit Farbverdünner und zündet sich an. An den schweren Brandverletzungen stirbt er wenig später. Wegen versuchter Republikflucht war er zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. An der Haft war er offensichtlich zerbrochen. Die Staatssicherheit schirmte seine Beerdigung ab und sorgte dafür, dass die Nachricht vom Tod des Cottbuser Häftlings erst Monate später in den Westen gelangte.

Dieses Ereignis aus der Geschichte der Haftanstalt ist in den noch vorhandenen Stasi-Unterlagen dokumentiert. Viele andere Geschehnisse existieren dagegen nur noch in der Erinnerung ehemaliger Insassen. In der Lausitz ist bisher nur wenig über den Alltag hinter Gittern in Cottbus zu DDR-Zeiten bekannt. Bis auf einige Strafprozesse gegen ehemalige prügelnde Wärter wie Roter Terror und Arafat hat die jüngere Geschichte des 1859 errichteten Gefängnisses in den vergangenen Jahren kaum eine Rolle gespielt.

Zu DDR-Zeiten wurden in Cottbus immer mehr Republikflüchtige, Ausreisewillige und Mitglieder von kirchlichen Friedensgruppen eingesperrt. Für 600 Häftlinge vorgesehen, wurden zeitweise bis zu 1400 Menschen jährlich in diesem Gefängnis zusammengepfercht. Zum Ende der DDR war nur noch jeder fünfte Cottbuser Häftling kriminell, alle anderen saßen wegen politischer Delikte ein. Der Cottbuser Knast war für Tausende letzte Station vor dem Freikauf in den Westen. Seit April steht das Gebäude leer, irgendwann droht der Abriss.
Dann verschwinden die äußeren Spuren dieses schlimmen Kapitels Lausitzer Geschichte. Ehemalige politische Inhaftierte wollen ihre Erinnerungen an Cottbus nicht länger für sich behalten. Zusammen mit den Landesbeauftragten für Staatssicherheit, die es in jedem neuen Bundesland und Berlin, außer in Brandenburg gibt, trafen sie sich zu einem Gesprächsforum bei der RUNDSCHAU. Sehr emotional und doch sehr sachlich schilderten sie den DDR-Alltag hinter Gittern. Dabei gab es sogar lobende Worte für einige ehemalige Aufseher, denn nicht alle prügelten.

Einzelhaft im Keller
Doch auch von Einzelhaft in feuchten Kellern, brutalen Schlägen, schlechter Verpflegung und schwerer Arbeit war bei dem Forum die Rede. Unter den oft sehr gebildeten politischen Gefangenen gab es jedoch auch großen Zusammenhalt. Siegmar Faust, der von 1974 bis 1976 in Cottbus saß, erzählte, dass er 13 Exemplare einer Zeitung handschriftlich verfassten konnte, ohne das er verraten wurde.

Wie wenig die DDR-Geschichte des Gefängnisses in der Bautzener Straße, aber auch die der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt am Spreeufer trotz einer Gedenktafel und eines Gedenksteins im Bewusstsein der Stadt verankert ist, machte Eberhard Fischer deutlich. Er ist Stadtführer und ehemaliger SED-Genosse.

In einem Gespräch mit dem verstorbenen Alfred Ullmann, dem Vorsitzenden der Cottbuser Bezirksgruppe der Verfolgten des Stalinismus, hatte er vor einiger Zeit erfahren, was sich im Stasi-Knast abgespielt hatte. „Das hat mich geschaudert, was ich da gehört habe“, sagte er. Seitdem erwähnt Fischer diesen Teil der Cottbuser Stadtgeschichte bei seinen Rundgängen. Offene Ohren findet der Stadtführer damit jedoch fast nur bei Westdeutschen, die Cottbus besuchen.

Vom polit. Gefängnis ist 2002 in der Innenstadt nichts bekannt
Alexander Bauersfeld, 1983 für ein halbes Jahr im Cottbuser Stasi-Knast, dann in der Bautzener Straße eingesperrt, machte kürzlich bei Cottbus-Information die Probe. Als er vor einigen Monaten dort nach den beiden früheren Haftanstalten fragte, bekam er zur Antwort: „Davon ist uns nichts bekannt.“ Bauersfeld und andere ehemalige Häftlinge suchen nun gemeinsam nach Wegen, das zu verändern. Besonders Jugendliche sollten erfahren, wie es damals politischen Häftlingen in Cottbus erging, so ihr Anliegen. Der Chef des Cottbuser Stadtmuseums, Steffen Krestin, bot Unterstützung an.
Eine mögliche Ursache für das bisherige Schweigen sieht Bauersfeld darin, dass viele, die an der Inhaftierung politisch unliebsamer Menschen mitgewirkt hätten, heute noch in der Region lebten. Als Beispiel nannte er eine ehemalige Staatsanwältin, die an vielen politischen Verfahren mitwirkte und heute als Rechtsanwältin in Cottbus tätig ist.

Quelle: „Lausitzer Rundschau“ Cottbus, 08. November 2002


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Mahnmal für Grenzflüchtling Hans Georg Lemme

Vor 24 Jahren wurde der junge Wehrdienstleistende Hans-Georg Lemme von einem Grenzboot überfahren. Die Besatzung fühlt sich unschuldig: „Das könnt ihr doch nicht machen! Ich bin doch einer von euch!“

Am 2. November 1973 trat er 20jährig seinen Wehrdienst bei der Volkspolizei-Bereitschaft „Karl-Liebknecht” des Bezirks Schwerin an, wo er zunächst als Schützenpanzerfahrer und dann als Maschinengewehrschütze ausgebildet wurde. Im Sport habe er „Höchstleistungen gezeigt”, heißt es in einer Beurteilung der Volkspolizei, die seine Haltung zum Wehrdienst jedoch negativ beurteilte.

Seine Mutter dachte zunächst, ihr Sohn wolle baden fahren, sein Geld und seinen Wehrpass hatte er zurückgelassen. Als seine Abwesenheit in der Kaserne bemerkt wurde, lief eine Eilfahndung nach ihm an. Die Polizei begann, das Elternhaus zu überwachen und vernahm die ahnungslose Frau Lemme. Die Volkspolizei und die Grenztruppen in den Kreisen Perleberg und Ludwigslust erhielten Befehl zur verstärkten Grenzsicherung.

Die nun folgende Nacht muss Hans-Georg Lemme im Freien verbracht haben. Am 19. August 1974 sprang er kurz nach 21 Uhr bei Cumlosen in die Elbe und schwamm in nördliche Richtung. Ein Stück weiter war es möglich, heimlich auf die niedersächsische Seite hinüberzuwechseln.

Obwohl Hans-Georg Lemme ein sehr guter Schwimmer war, zeigte sich zunehmend seine körperliche Erschöpfung. Das Grenzsicherungsboot versperrte ihm mehrmals den Weg und die Besatzung versuchte, ihn an Bord zu holen, doch Lemme tauchte wiederholt unter das Boot durch. Dessen Bootsführer fürchtete einen Misserfolg. Erst kurz zuvor war er wegen des Hörens westlicher Rundfunksendungen mit einem Verweis belegt und für mehr als ein Jahr aus dem direkten Grenzdienst entfernt worden. Auch erinnerte er sich, dass an der gleichen Stelle einige Wochen zuvor eine Flucht gelungen war und die damals eingesetzte Bootsbesatzung sich dafür hatte verantworten müssen. Nun sah er, wie sich der Flüchtling immer weiter den Buhnen auf der Flußseite zu Westdeutschland näherte.
Während er versuchte, das Boot möglichst nahe an den schwimmenden Flüchtling heran zu manövrieren, gab ein am DDR-Ufer eingesetzter Grenzposten gezielt Schüsse auf den Mann im Wasser ab. Er stellte das Feuer erst ein, nachdem der Bootsführer ihn wegen der Eigengefährdung dazu aufforderte. Was dann am Ende des etwa 35-minütigen Einsatzes geschah, ist unterschiedlich überliefert.
Am Morgen des 6. September 1974 bargen Angehörige der Grenztruppen gegenüber Schnackenburg die Leiche von Hans-Georg Lemme. Sie wies starke Verletzungen an Kopf und Hals auf, die nach Auffassung der Militärstaatsanwaltschaft von einer Schiffsschraube herrühren konnten. Den Gerichtsmedizinern der Universität Rostock war es aufgrund der langen Liegezeit der Leiche im Wasser nicht mehr möglich, die genaue Todesursache zu attestieren. Es bleibt deshalb offen, ob Lemme die Verletzungen noch zu Lebzeiten erhielt, oder ob er bereits ertrunken war. Auf dem Totenschein, den die Eltern erhielten, stand schließlich: „wahrscheinlich ertrunken”. Bereits einen Tag nach der Bergung wurden Lemmes sterbliche Überreste im verschlossenen Sarg nach Groß Breese überstellt. Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes überwachten die Trauerfeier am 10. September 1974. Sie hielten in einem Bericht fest, dass rund 175 Personen Hans-Georg Lemme das letzte Geleit gaben, unter ihnen „alle Jugendlichen aus der Gemeinde”. Lemme sei in der Grabrede des Pfarrers als mutiger und tapferer Mensch geschildert worden, der an ein besseres Leben glaubte.

https://www.fu-berlin.de/sites/fsed/Das-DDR-Grenzregime/Biografien-von-Todesopfern/
Lemme_Hans-Georg/index.html
https://www.maz-online.de/Lokales/Prignitz/Er-wurde-gejagt-wie-ein-Tier-und-dann-getoetet
http://www.zeitzeugen.brandenburg.de/zeitzeugen/inge-lemme/




Mahnmal für Grenztoten Harry Weltzin

1983 kam Wismarer im Wald bei Kneese ums Leben

Drei Jahrzehnte nach dem Tod des Republikflüchtlings Harry Weltzin wird bei Kneese ein Mahnmal für DDR-Grenztote eingeweiht. Die Zeremonie findet am 31. August statt, unweit der Stelle, an der er 1983 ums Leben kam.
Für das Mahmal wurden Originalteile der ehemalige Grenzanlage aufgestellt. Es sei wichtig, auch die junge Generation hier mit einzubeziehen.

Harry Weltzin wurde 1955 in Wismar als Sohn einer Kaufmannsfamilie geboren. Er besuchte von 1961 bis 1971 die Polytechnische Oberschule „Gerhart Hauptmann“ in Wismar, die er mit sehr guten Ergebnissen abschloss. Nach Lehre und Armeezeit studierte er an der Ingenieurhochschule Wismar Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Starkstrom. 1981 schloss er das Studium als Diplom-Ingenieur ab. Von 1981 bis Anfang 1983 arbeitete Harry Weltzin als Diplom-Ingenieur für Projektierung auf der Werft in Wismar. Er verlor seine Arbeitsstelle nach einer Auseinandersetzung mit einem „leitenden Genossen“ an der Werft und entschloss sich zur Flucht in die Bundesrepublik.

Harry Weltzin sah keinen anderen Ausweg mehr, als die DDR zu verlassen. Die Grenze bei Kneese, die er aus seiner Dienstzeit kannte, schien ihm hierfür der schwächste Punkt der DDR-Grenze zu sein. Er wusste auch, dass das Wasser des Niendorfer Binnensees bereits zur Bundesrepublik gehörte. Zwischen Zaun und See war nur ein schmaler Uferstreifen zu überwinden.

Ihm war aber offenbar nicht klar, dass die DDR zwischenzeitlich Selbstschussanlagen vom Typ SM 70 in diesem Abschnitt installiert hatte. Diese wurden durch gut getarnte Drähte ausgelöst, die längs des Zauns angebracht waren. Als er sich unter dem Zaun hindurch graben wollte, löste er am 4. September die Todesautomatik aus. Von mehreren Splittern getroffen, starb er wenig später.

Sein Tod wurde von den DDR-Organen mit einer Lügengeschichte vernebelt. Weltzin habe sich auf dem in Wismar am Grab seiner Großeltern das Leben genommen, war die offizielle Version. In den Akten der DDR-Staatssicherheit befinden sich jedoch die Unterlagen über den tatsächlichen Hergang. Auch grausige Fotos der Leiche finden sich hier. Sie zeigen den Toten mit der NVA-Erkennungsmarke, die Weltzin mit auf die Flucht genommen hatte.

„Das Tragische ist und das ergaben Recherchen: Noch vor vier Wochen dachten Wismarer, dass Harry Weltzin ein Selbstmörder gewesen sei und sich am Grab des Großvaters erhängt hätte. Es war damals eine komplett falsche Darstellung von seinem Tod in Umlauf gebracht worden – wahrscheinlich im Auftrag der Stasi“, sagt Michael Markus Schulz von der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Es existierten auch Gerüchte, wonach Weltzin als Reservist bei einem Manöver ums Leben gekommen sei.

Der Mann, der sich mit dem Fall Harry Weltzin näher beschäftigte, ist der Wissenschaftler Prof. Dr. Stefan Appelius. Er sichtete Stasi-Unterlagen, sprach u. a. mit ehemaligen Arbeitskollegen Weltzins. „Ich war sehr berührt, dass die Selbstmordgerüchte quasi bis zum heutigen Tage durch Wismar waberten und die Menschen nicht wissen, was für ein Schicksal Harry Weltzin tatsächlich ereilt hatte“, so Appelius.

Den Fluchtplan des Wismarers bezeichnet Appelius als gut überlegt. Der Diplomingenieur habe Bolzenschneider, Campgingspaten, Kompass, Taschenlampe, Gasfeuerzeug, Schokoladenkekse, Traubenzuckertabletten und eine Thermoskanne dabei gehabt. „Weltzin trug eine Badehose und führte auch einen Schnorchel mit sich, um das letzte Stück in Richtung Schleswig-Holstein durch den Niendorfer Binnensee zu schwimmen. Er hatte auch für den Fall seines Todes Vorsorge getroffen, um den Hals trug der Leutnant der Reserve seine militärische Erkennungsmarke“, so Appelius.

Vor Gericht landete der Fall Weltzin 1998. Die Staatsanwaltschaft klagte damals einen stellvertretenden Zugführer einer Pionierkompanie wegen angeblicher Beihilfe zum Totschlag an. Denn unter seiner Leitung waren im September 1979 westlich von Kneese und Bernstorf je 324 Minen verlegt worden. Das Verfahren gegen den Mann endete im Mai 2000 mit einem Freispruch.
                                                                                                                           aus der Gadebusch-Rehnaer Zeitung vom 16. August 2013

www.svz.de/lokales/gadebusch-rehnaer-zeitung/mahnmal-erinnert-an-grenztoten-harry-weltzin-id4067886.html