Mahnmal für Grenztoten Harry Weltzin

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1983 kam Wismarer im Wald bei Kneese ums Leben

Drei Jahrzehnte nach dem Tod des Republikflüchtlings Harry Weltzin wird bei Kneese ein Mahnmal für DDR-Grenztote eingeweiht. Die Zeremonie findet am 31. August statt, unweit der Stelle, an der er 1983 ums Leben kam.
Für das Mahmal wurden Originalteile der ehemalige Grenzanlage aufgestellt. Es sei wichtig, auch die junge Generation hier mit einzubeziehen.

Harry Weltzin wurde 1955 in Wismar als Sohn einer Kaufmannsfamilie geboren. Er besuchte von 1961 bis 1971 die Polytechnische Oberschule „Gerhart Hauptmann“ in Wismar, die er mit sehr guten Ergebnissen abschloss. Nach Lehre und Armeezeit studierte er an der Ingenieurhochschule Wismar Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Starkstrom. 1981 schloss er das Studium als Diplom-Ingenieur ab. Von 1981 bis Anfang 1983 arbeitete Harry Weltzin als Diplom-Ingenieur für Projektierung auf der Werft in Wismar. Er verlor seine Arbeitsstelle nach einer Auseinandersetzung mit einem „leitenden Genossen“ an der Werft und entschloss sich zur Flucht in die Bundesrepublik.

Harry Weltzin sah keinen anderen Ausweg mehr, als die DDR zu verlassen. Die Grenze bei Kneese, die er aus seiner Dienstzeit kannte, schien ihm hierfür der schwächste Punkt der DDR-Grenze zu sein. Er wusste auch, dass das Wasser des Niendorfer Binnensees bereits zur Bundesrepublik gehörte. Zwischen Zaun und See war nur ein schmaler Uferstreifen zu überwinden.

Ihm war aber offenbar nicht klar, dass die DDR zwischenzeitlich Selbstschussanlagen vom Typ SM 70 in diesem Abschnitt installiert hatte. Diese wurden durch gut getarnte Drähte ausgelöst, die längs des Zauns angebracht waren. Als er sich unter dem Zaun hindurch graben wollte, löste er am 4. September die Todesautomatik aus. Von mehreren Splittern getroffen, starb er wenig später.

Sein Tod wurde von den DDR-Organen mit einer Lügengeschichte vernebelt. Weltzin habe sich auf dem in Wismar am Grab seiner Großeltern das Leben genommen, war die offizielle Version. In den Akten der DDR-Staatssicherheit befinden sich jedoch die Unterlagen über den tatsächlichen Hergang. Auch grausige Fotos der Leiche finden sich hier. Sie zeigen den Toten mit der NVA-Erkennungsmarke, die Weltzin mit auf die Flucht genommen hatte.

„Das Tragische ist und das ergaben Recherchen: Noch vor vier Wochen dachten Wismarer, dass Harry Weltzin ein Selbstmörder gewesen sei und sich am Grab des Großvaters erhängt hätte. Es war damals eine komplett falsche Darstellung von seinem Tod in Umlauf gebracht worden – wahrscheinlich im Auftrag der Stasi“, sagt Michael Markus Schulz von der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Es existierten auch Gerüchte, wonach Weltzin als Reservist bei einem Manöver ums Leben gekommen sei.

Der Mann, der sich mit dem Fall Harry Weltzin näher beschäftigte, ist der Wissenschaftler Prof. Dr. Stefan Appelius. Er sichtete Stasi-Unterlagen, sprach u. a. mit ehemaligen Arbeitskollegen Weltzins. „Ich war sehr berührt, dass die Selbstmordgerüchte quasi bis zum heutigen Tage durch Wismar waberten und die Menschen nicht wissen, was für ein Schicksal Harry Weltzin tatsächlich ereilt hatte“, so Appelius.

Den Fluchtplan des Wismarers bezeichnet Appelius als gut überlegt. Der Diplomingenieur habe Bolzenschneider, Campgingspaten, Kompass, Taschenlampe, Gasfeuerzeug, Schokoladenkekse, Traubenzuckertabletten und eine Thermoskanne dabei gehabt. „Weltzin trug eine Badehose und führte auch einen Schnorchel mit sich, um das letzte Stück in Richtung Schleswig-Holstein durch den Niendorfer Binnensee zu schwimmen. Er hatte auch für den Fall seines Todes Vorsorge getroffen, um den Hals trug der Leutnant der Reserve seine militärische Erkennungsmarke“, so Appelius.

Vor Gericht landete der Fall Weltzin 1998. Die Staatsanwaltschaft klagte damals einen stellvertretenden Zugführer einer Pionierkompanie wegen angeblicher Beihilfe zum Totschlag an. Denn unter seiner Leitung waren im September 1979 westlich von Kneese und Bernstorf je 324 Minen verlegt worden. Das Verfahren gegen den Mann endete im Mai 2000 mit einem Freispruch.
                                                                                                                           aus der Gadebusch-Rehnaer Zeitung vom 16. August 2013

www.svz.de/lokales/gadebusch-rehnaer-zeitung/mahnmal-erinnert-an-grenztoten-harry-weltzin-id4067886.html